Weibliches Selbstbewußtsein

Wir Frauen wachsen in einer Gesellschaft auf, in der dem Weiblichen kein Wert zugemessen wird. Frauen verdienen weniger für die gleiche Arbeit. Frauen sind per religiöser Definition der Grund allen Bösen, haben die Ursünde über uns Menschen gebracht. Der Geburt eines Sohnes wird noch immer mehr Anerkennung gezollt als der einer Tochter. Weibliches fehlt in unseren Geschichtsbüchern komplett, da haben wir nie etwas erwähnenswertes geleistet.
Wenn wir Selbstbewußtsein entwickeln, dann dadurch, dass wir Lob aus der männlichen Sicht erhalten: Wir werden als schön gelobt, hübsch anzusehen. Gelobt auch dafür, dass wir gut in der Schule sind, schlau sind. All das macht uns abhängig von dem Lob, der Anerkennung von außen. Und wenn die wegfällt, ausbleibt, dann sind wir nichts mehr.
Ich habe ein gutes Selbstbewußtsein, nach außen hin. Ich bin gut in dieser leistungsorientierten Welt etabliert, kann dort gut mithalten, bin anerkannt. Aber es kommt im Inneren nicht an, es fehlt etwas, es fehlen die Wurzeln.
Wo ist meine Verankerung im Frausein, im so sein, so besonders als Frau sein, wie ich nun eben bin? Wie kann ich das auch in mir spüren? Weshalb spüre ich das nicht?

Es gibt 5 Bereiche, die ich in mir stärken mag, um mein Selbstbewußtsein als Frau zu erfahren. Ich werte damit alle Frauen auf, denn nur so kann ich diese Wurzeln finden.

1) Schwesternschaft
Ich brauche Beziehungen in gleicher Augenhöhe, in gegenseitigem Herzenraum und Mitgefühl zu anderen Frauen. Nicht leistungsorientiert sondern im Inneren zugewandt. Hier kann ich mich als Frau kennen lernen, einfach in dem ich unter Frauen bin.
Das hört sich so leicht an, aber wie sehr mißtrauen wir den anderen Frauen, sehen sie als Rivalin? Wenn es um die Konkurrenz geht, um das Besitzen wollen des besten Stücks, (manchmal ist dann auch der Mann damit gemeint), kann solch eine Schwesternschaft nicht aufblühen.
Wo können wir heute solch eine Frauengemeinschaft leben? Wir müssen sie uns selbst erschaffen, es gibt sie nicht in der Gesellschaft. Vielleicht noch in den Frauenzentren, aber da ist mir das alles zu sehr an die Mutterschaft gekoppelt. Da braucht frau Hilfe, da kommen sie zusammen. Aber dies erscheint mir so zweckgebunden, endet wieder wenn der Bedarf vorüber ist. Und Frauenhäuser, auch ein Ort der Solidartät unter Frauen, ist gegen das Männliche gerichtet, als notwendiger Schutz. Auch das meine ich nicht, für frau sein heißt nicht männerfeindlich sein. Ich möchte mich als Frau erleben im Spiegel der Frauen. Im Spiegel des Mannes ist immer das gesellschaftliche Bild der Frau mit enthalten. Und genau das mag ich erweitern.

2) Frauen als Lehrerin und Vorbild
Auch ich bin immer noch in dem Bild gefangen, dass ich Männern mehr fachliche Kompetenz zutraue, mehr Autorität einräume, ihr nach außen gerichtete Verhalten als Wissen interpretiere. (Inzwischen – aber auch das ist noch nicht so lange so – nicht mehr bei den Fragen, die ich mir im Bereich des Frauseins stelle, da bin ich sehr reserviert, wenn mir ein Mann mein Frausein erklären mag.) Aber ansonsten bin ich sehr geprägt in der Hinsicht, Männern per se Überlegenheit einzuräumen.
Frauen werden in unseren Geschichtsbüchern nicht erwähnt, sie kommen darin nicht vor, als ob frau nie etwas geleistet hätte. Unsere Mutter ist meist ebenfalls kein Vorbild, wir werfen unseren Mütter so oft Versagen und Schwachheit vor, wälzen unser eigenes Schwachsein auf sie als die Ursache ab.
Wo sind die weiblichen Vorbilder, Idole? Nicht die magersüchtigen Pop-Sängerinnen, sondern die pralle Weiblichkeit, die wissenden und lehrenden Frauengestalten? Es gibt sie, auch wenn wir sie in uns suchen müssen. Welche Frau hat mir in meinem Leben etwas beigebracht? Meine Nachbarin hat mir als Jugendliche das Nähen gelernt. Heute mag ich ihr dafür danken, ich hatte eine weibliche Lehrerin. Da gab es meine Akkordeonlehrerin, auch sie war Respektsperson für mich. Auf der Fachhochschule Fehlanzeige, aber meine Therapeutin ist mir ein große Stütze, sie strahlt Weisheit aus.
Laßt uns nach unseren weiblichen Lehrerinnen in unserem Leben suchen, sie achten. Und dadurch erkennen: Ja, Frauen füllen ihren Platz aus, haben etwas zu sagen und weiterzugeben von ihrem reichen Wissen. Dann kann ich das auch, bin wichtig für andere Frauen. Es gibt sie, diese Vorbilder. Daran kann ich mich halten, festhalten, Selbstbewußtsein, Selbstwert aufbauen.

3) Ein weibliches Göttinnenbild
Wir leben in einer Gesellschaft in der Gott absolut männlich ist, sogar dreifach. Ich finde mich da als Frau nicht wieder. Wie würde es einem Mann gehen, der nur von Göttinen umgeben wäre, von Priesterinnen das Leben erklärt gekäme. Immer mit der Aussage, ja, auch du als Mann gehörst natürlich dazu. Eine verrückte Vorstellung! Aber genau so geht es mir als Frau gerade. Da wird mir nichts angeboten, was meiner Weiblichkeit entspricht. Wie soll ich mich da wiederfinden, ohne mich im Geiste dreimal um mich selbst gewunden zu haben?
Ich brauche eine weibliche Göttinnenheit, in der ich meinen Spiegel finden kann. Dieses Bedürfnis der Frauen war schon immer da. Nicht umsonst gab und gibt es eine große Verehrung der Mutter Maria. Da ist doch noch etwas weibliches übrig geblieben.
Ich habe mich auf den Weg gemacht, die Göttin, meine Göttin zu finden. Lange gesucht, nichts wirkliches gefunden. Deshalb auch die Suche von so vielen Frauen nach den Göttinnen der östlichen Religionen. Aber die sind mir zu sehr umgedeutet durch die jahrtausendlange Geschichte der männlich gepägten Religionen. Aber die ganz alte, “Vor“Zeitliche große Mutter, Mutter Erde, große Göttin paßt für mich. Hier muß ich nicht erfinden, hier kann ich mich erinnern. Zehntausendejahrelang war sie im Geiste des Menschen fürsorglich prägend. Die wenigen Artifakte, die aus dieser Zeit übrig geblieben sind, sie sprechen mit in ihrer Fremdartigkeit an, lassen mich die Verehrung spüren, die die Menschen, Frauen und Männer, ihr entgegengebracht haben, das Leben durch die Verehrung von Ihr gehuldigt haben. Hier kann ich mich wiederfinden, geborgen fühlen.
Ich bin dabei, meine eigenen religiösen Wurzeln in diesem Bild, in meinem Bild der großen Göttin zu finden. Eine “Religio”, im wörtlichen übersetzten Sinne eine Rückbindung an das Göttliche. In diesen Bildern ist es mir das erste Mal in meinem Leben möglich zu beten, mich unter ihren Schutz zu stellen, um ihre Fürsorge zu bitten. Auch hier kann ich meinen Wert als Frau spüren, ich fühle mich gesehen, nicht bloß geduldet.

4) Mein Körper
Ich lernen, langsam Schritt für Schritt, meinen Körper so wahrzunehmen, wie er ist. Nicht mehr durch die Brille schauen zu müssen, die mir Schönheitsideals vorgaukeln, ist so befreiend. Ich bin nur “zu” dick für Vorstellungen, die von außen an mich heran getragen werden, und die ich maßlos tief verinnerlicht habe.
Mein Körper ist schön, ich mag ihn streicheln. Ich mag mich in meinem Köper behaglich ausstrecken, mich ausdehnen, bis an seine für die Ideals dieser Welt zu weiten Grenzen.
Ich kann damit auch meine Sexualität fühlen, ohne auch dort irgendwelchen Bildern hinterher jagen zu müssen. Mich zärtlich intim berühren und spüren, was da erwacht. Ganz ohen Leistungsdruck von (angeblich) “Frauen“zeitschriften wie Brigitte und Co.
Ich bin ich in meinem Köper, oder bewege mich auf jeden Fall ganz langsam dort hin.

5) Meine Bestimmtwerden als Frau
Wie hat Frau zu sein? Es gibt so viele Antworten darauf, die unsere Gesellschaft geprägt hat. Frauen sollen doch bitte schön Mutter werden und Kinder zur Welt bringen. Doch stimmt das? Wenn ich mich umschaue, dann sehe ich viele weiblichen Menschen, die haben keine Kinder, und sind trotzdem Frau. Also stimmt diese Aussage nicht, sie entspricht nicht der Realität. Und damit hat sie keine Gültigkeit. Das Bild meines Frauseins darf sich nach mir richten, nicht andersherum! So verabschiede ich mich von Vorstellungen und Leistungsdruck, so oder so sein zu müssen. Es gibt keine biologische Bestimmung, wie Frau zu sein hat, was sie leben soll, nur gesellschaftliche Konventionen. Diese Konventionen habe ich als Frau verinnerlicht, klar, ich bin ja in ihnen aufgewachsen. Aber ich kann mich, wenn mir denn erst bewußt geworden ist, was es da für Ansprüche in mir gibt, auch davon lösen. Und noch wichtiger: Ich brauche kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn ich der Norm nicht entspreche.
In der buddhistischen Sicht nennt sich dies die “Lehre vom bedingten Entstehen”. Alles ist von irgendetwas anderm abhängig, es gibt nichts was per se aus sich selbst heraus so ist, wie wir glauben das es ist. Jede Aussage “Eine Frau ist….” ist nur eine Arbeitshypothese, die solange bestand hat, bis ich etwas anderes erkenne.
Diese Sichtweise hilft mir, gegen das Bild der “Rolle der Frau” in unserer Gesellschaft nicht mehr ankämpfen zu müssen. Ich kann einfach für mich feststellen, dass ich es für mich, jetzt gerade in diesem Augenblick anders sehe. Und ich habe jede Menge Kraft nach meinem Weg zu schauen, ich muß meine Kraft nicht mehr für die Überwindung einer Sichtweise aufbringen.
Es ist eine große Herausforderung dies zu leben. Ich versuche es, jeden Tag. Mir hilft dabei, dass mein innerer Beobachter inzwischen immer genauer all das wahrnimmt, was in mir für Gedanken kreisen, was ich mir für Geschichten erzähle. Denn dieses Bild der Frau, wie es jahrhundertelang gelebt wurde, ist ganz tief in mir verwurzelt, über unzählige Generationen meiner Ahninnen hinweg. Aber ich kann dies inzwischen hören, spüren, meine Prägung immer ein Stück weit deutlicher erkennen. Und dann kann ich dies hinterfragen: Stimmt das wirklich so für mich? Was hindert mich, es anders zu tun?

All diese Punkte gelten meiner Meinung nach auch für Männer. Auch sie brauchen das Leben unter Männern in Bruderschaft, das Lehrer-Verhältnis, ein männliches Gottesbild, ein gutes Körpergefühl und eine Relativierung ihnen vorgeschriebenen Rollenverhaltens. Aber ich mag ja auch nicht, dass ein Mann sich über mein Frausein ausläst, so ist dies ein Feld, was ein Mann erörtern mag. Und wenn wir dann Frauen in unserem Frausein gefestigt und Männer in ihrem Mannsein gestärkt zusammen kommen, dann begegnen wir uns auf gleicher Augenhöhe. Dann, aber erst nachdem dieser erste Schritt getan ist, können wir uns partnerschaftlich sehen und halten, ohne Angst vor Konkurrenz oder der Übermacht des Fremdartig-Anderen. Dann ist der Zeitpunkt, dass wir das Andersgeartete im anderen Geschlecht erkennen und achten können.

Ich möchte nun noch Mut machen für all die Fehler, die wir machen werden, wenn wir einen neuen Weg gehen, egal welcher das auch sein mag. Das Leben außerhalb vorgezeigter Bahnen ist ein Übungsfeld, Fehler inklusive. In der Geschichte gab es große Fehler, die heute als bedeutend eingestuft werden. Napoleons Machtstreben, ein einziges Disaster – und trotzdem füllt es die Geschichtsbücher. Laßt uns unsere eigenen bedeutenden Fehler machen, ohne Verurteilung sondern mit Achtung vor unserem eigenen Wesen und Einzigartigkeit.